Geschichte Istanbuls
Das Tor zwischen Orient und Okzident
Hagia Sophia
Ein jahrtausendealtes Tor zwischen Orient und Okzident: Die Geschichte Istanbuls ist ein lebendiges Mosaik aus Kulturen, Imperien und Epochen. In ihren Mauern, Straßen und Kuppeln spiegeln sich Glanz, Wandel und Widerstandskraft vergangener Jahrhunderte.
Von der griechischen Kolonie Byzantion über das byzantinische Konstantinopel bis zur osmanischen Hauptstadt – kaum eine andere Stadt der Welt verkörpert kulturelle Vielfalt so eindrucksvoll wie Istanbul.
Die Stadt zwischen den Welten
Die Wasserstraße Bosporus zwischen Asien und Europa
Dank ihrer strategischen Lage am Schnittpunkt von Kontinenten und Meeren ist Istanbul seit jeher ein begehrter Ort und Schmelztiegel unterschiedlicher Traditionen. Sie prägte über Jahrtausende hinweg den Lauf der Geschichte von Handel, Religion, Kultur und Politik.
Ihre Bauwerke zeugen von griechischen Siedlern, römischen Kaisern, byzantinischen Herrschern und osmanischen Sultanen - alle hinterließen ihre unverwechselbaren Spuren, die bis heute sichtbar sind.
In den folgenden Abschnitten nehmen wir Sie mit auf eine Reise durch die wichtigsten geschichtlichen Epochen Istanbuls - von den frühesten Siedlungsspuren bis zur pulsierenden Megacity der Gegenwart.
Frühgeschichte Istanbuls
Antikes Boot aus den Yenikapi-Ausgrabungen
Die Gegend des heutigen Istanbul war bereits vor Jahrtausenden besiedelt. Bei den archäologischen Ausgrabungen im Zuge des Marmaray-Projekts - eines großangelegten U-Bahn-Baus unter dem Bosporus - entdeckten Archäologen in Yenikapi unter einer mächtigen byzantinischen Schicht überraschend ein bedeutendes neolithisches Siedlungsniveau.
Die Ausgrabungen förderten Spuren einer etwa 8000 Jahre alten Kultur zutage - darunter Überreste von neolithischer Architektur, kleinen Alltagsgegenständen und Gräbern. Diese Funde zählen zu den wichtigsten neolithischen Zeugnissen im Raum Istanbul und erweitern unser Verständnis der frühen Stadtgeschichte grundlegend.
8000 Jahre alte Grabstätte aus der Jungsteinzeit - Yenikapi-Ausgrabungen
Die weiteren ältesten Siedlungsspuren finden sich in Yarımburgaz (ca. 6000 v. Chr., Höhlenfunde) und Fikirtepe (5500-3500 v. Chr., Keramikwerkstätten), doch Yenikapis neolithische Schicht bietet erstmals eine vollständige Siedlungsstruktur.
Die neolithische Siedlung befand sich in einer schlammigen Schicht nahe dem ehemaligen Hafenbecken und belegt, dass die Region schon in der Jungsteinzeit ein bevorzugter Lebensraum war. Die Lage am Bosporus bot ideale Voraussetzungen für Siedlungen durch den Zugang zu Wasserwegen und fruchtbarem Land.
Während der Ausgrabungen wurden zudem tausende organische und anorganische Artefakte sowie architektonische Überreste geborgen. Besonders bemerkenswert ist der Fund von 37 gut erhaltenen Schiffswracks aus den Jahrhunderten zwischen dem 5. und 10. Jahrhundert, die als die größte zusammenhängende Sammlung früh- und mittelbyzantinischer Schiffsreste gelten.
Diese nahezu unversehrten Wracks unterstreichen die Bedeutung Istanbuls als wichtigen maritimen Knotenpunkt in der Spätantike und dem Mittelalter.
Griechische Kolonisation (7. Jahrhundert v. Chr.)
Historische Karte von Byzanz, gezeichnet von Jean-Denis Barbié du Bocage 1784
Die zivilisierten Ursprünge Istanbuls reichen tief in die Antike zurück. Um 657 v. Chr. gründeten griechische Siedler aus Megara die Kolonie Byzantion. Der Legende nach konsultierte der Heerführer Byzas zuvor das Orakel von Delphi, das ihm den rätselhaften Rat gab, „gegenüber den Blinden“ zu siedeln.
Er sah darin einen Hinweis, sich auf der europäischen Seite des Bosporus niederzulassen, da frühere Siedler auf der asiatischen Seite - in Chalcedon (dem heutigen Kadiköy) - angeblich den besseren Ort übersehen hatten. Der gewählte Ort - eine Halbinsel mit Blick auf den Bosporus, das Goldene Horn und das Marmarameer - bot ideale Voraussetzungen für Handel und Verteidigung.
Byzantion entwickelte sich rasch zu einem bedeutenden Handelszentrum und militärischen Stützpunkt, der als Tor zwischen dem Schwarzen Meer und dem Mittelmeer diente. Der natürliche Hafen (das Goldene Horn) und die fruchtbaren Gebiete zogen Händler und Siedler an und legten das Fundament für die spätere Größe der Stadt.
Römisches Erbe und der Aufstieg Konstantinopels (2.-4. Jahrhundert n. Chr.)
Konstantinopel, die byzantinische Hauptstadt
Die Stadt hatte sich zuvor über Jahrhunderte als griechische Kolonie behauptet, geriet jedoch immer wieder in den Herrschaftsbereich größerer Mächte. Mit der Eroberung durch Kaiser Septimius Severus im Jahr 196 n. Chr. wurde Byzantion endgültig in das Römische Reich eingegliedert.
Nach der römischen Eroberung wurde Byzantion zunächst schwer beschädigt, doch auf Anweisung von Severus bald darauf großzügig wieder aufgebaut und mit neuen öffentlichen Gebäuden, Straßen und Befestigungen ausgestattet. Damit begann der Aufstieg der Stadt als wichtiger Knotenpunkt im Osten des Imperiums.
Ein entscheidender Wendepunkt folgte jedoch im 4. Jahrhundert, als Kaiser Konstantin der Große eine neue Hauptstadt für sein Reich suchte. Die Wahl fiel auf Byzantion - nicht zuletzt wegen seiner hervorragenden Lage zwischen Europa und Asien sowie seiner Nähe zu den Krisenregionen an den östlichen Reichsgrenzen.
Konstantinopel - Die Neue Hauptstadt des Römischen Reiches (330 n. Chr.)
Stiftermosaik in der Hagia Sophia mit Maria, Kaiser Justinian und Kaiser Konstantin
Im Jahr 330 n. Chr. erklärte Konstantin die Stadt offiziell zur neuen Hauptstadt des Römischen Reiches. Sie wurde zunächst „Nova Roma“ („Neues Rom“) genannt, doch setzte sich bald der Name Konstantinopel („Stadt des Konstantin“) durch. Mit dieser Neugründung wurde die Stadt zum politischen und religiösen Zentrum des östlichen Reichsteils.
Unter Konstantin begann eine intensive Phase des Ausbaus: Foren, Basiliken, Thermen, Aquädukte, Paläste und ein neues Straßennetz entstanden. Der Ausbau war so umfassend, dass Konstantinopel bald Rom selbst in Pracht und Einfluss übertraf.
Gleichzeitig wurde die Stadt zum Symbol für den Aufstieg des Christentums - eine Entwicklung, die unter Konstantin ihren Anfang nahm und später unter Theodosius I. zur offiziellen Staatsreligion führen sollte.
Kaiser Justinian und das Goldene Zeitalter (6. Jahrhundert)
Die Hagia Sophia - Symbol von Justinians goldenem Zeitalter
Die Stadt erreichte ihren Höhepunkt unter Kaiser Justinian I. im 6. Jahrhundert. Justinian strebte danach, das Erbe des Römischen Reiches wiederherzustellen und ließ umfangreiche Bauvorhaben durchführen, um Konstantinopel zum Juwel der mittelalterlichen Welt zu machen.
Sein bedeutendstes Bauwerk war die Hagia Sophia, eine monumentale Kirche mit revolutionärer Kuppelarchitektur, die zur größten Kirche der Christenheit wurde. Die Hagia Sophia gilt bis heute als architektonisches Meisterwerk und diente zahllosen späteren Sakralbauten als Vorbild.
In unmittelbarer Nähe ließ Justinian zudem die prächtige Basilika Zisterne anlegen - ein unterirdisches Wasserreservoir mit einem beeindruckenden Säulenwald, das später als „Versunkener Palast“ bekannt wurde und bis heute zu den geheimnisvollsten Bauwerken der Stadt zählt.
Konstantinopel war in dieser Zeit erfüllt von prächtigen Palästen, Triumphstraßen und monumentalen Plätzen. Die Stadt war das geistige Zentrum der orthodoxen Christenheit, ein Hort des Rechts und ein bedeutender Ort wissenschaftlicher Bildung.
Machtspiele und politische Intrigen in Konstantinopel
Die Theodosianischen Mauern - jahrhundertelanger Schutzwall Konstantinopels
Die mächtigen Theodosianischen Mauern, errichtet im 5. Jahrhundert, schützten Konstantinopel über viele Jahrhunderte hinweg vor feindlichen Angriffen. Die Stadt war berühmt für ihre Unbezwingbarkeit - nicht zuletzt aufgrund ihrer strategischen Lage zwischen Kontinenten und Meeren.
Ein zentraler Ort des öffentlichen Lebens war das Hippodrom, eine riesige Arena für Wagenrennen, Feste und politische Kundgebungen. Die Rivalität zwischen den Zirkusparteien - den „Grünen“ und „Blauen“ - nahm oft politische Dimensionen an.
Der berüchtigte Nika-Aufstand von 532, ausgelöst durch soziale Unzufriedenheit und politische Spannungen, eskalierte zu einer stadtweiten Rebellion, bei der große Teile Konstantinopels zerstört wurden. Kaiser Justinian ließ den Aufstand brutal niederschlagen - zehntausende Menschen verloren dabei ihr Leben.
Der byzantinische Hof war jahrhundertelang Schauplatz von Intrigen, Machtkämpfen und religiösen Auseinandersetzungen. Ikonoklasmus-Streit, Machtwechsel, Thronputsche und familiäre Fehden prägten das politische Leben im Palast.
Belagerungen und Plünderungen: Konflikte im Mittelalter
Buondelmontis Konstantinopel-Karte (1420)
Trotz wiederholter Angriffe und interner Konflikte blieb Konstantinopel das geistige und kulturelle Herz des Byzantinischen Reiches. Die Stadt wehrte unter anderem mehrere arabische Belagerungsversuche im 7. und 8. Jahrhundert erfolgreich ab. Zudem erlitt sie im Jahr 1204 den verheerenden Angriff der Kreuzfahrer, die Konstantinopel eroberten und das Reich für 57 Jahre (bis 1261) in die sogenannte Lateinische Herrschaft zwangen.
Nach der brutalen Plünderung Konstantinopels durch die Kreuzfahrer gelang es dem Byzantinischen Reich, sich zwar formal wieder zu konsolidieren, doch die Stadt und das Reich konnten nie wieder ihre frühere politische und wirtschaftliche Stärke erreichen.
Konstantinopel blieb bis zu seiner Eroberung durch die Osmanen im Jahr 1453 ein wichtiges Zentrum christlicher Kultur und Tradition, verlor jedoch zunehmend an Bedeutung und Einfluss. Die Lateinische Herrschaft und die langwierigen inneren Konflikte hatten das Reich so sehr geschwächt, dass eine vollständige Wiederherstellung der alten Größe nicht mehr möglich war.
Der Fall Konstantinopels und der Beginn der osmanischen Ära (1453)
Zeitgenössische französische Miniatur: Die Belagerung Konstantinopels (1453)
Nach einer langen Belagerung fiel Konstantinopel am 29. Mai 1453 an die Truppen des osmanischen Sultans Mehmed II., dem Eroberer. Dieses Ereignis bedeutete nicht nur das Ende des Byzantinischen Reiches, sondern leitete eine neue Epoche ein.
Die etwa sieben Wochen lang andauernde Belagerung begann im Frühling 1453. Die osmanischen Truppen setzten moderne Belagerungstechniken ein, darunter mächtige Kanonen, die die massiven Theodosianischen Mauern erstmals ernsthaft beschädigten.
Sultan Mehmed II. führte die Offensive persönlich an und kombinierte Artillerie, Infanterie und Marineoperationen, um die Stadt zu umzingeln und schließlich die Verteidigungslinien zu durchbrechen. Am 29. Mai gelang den Osmanen der entscheidende Sturmangriff, bei dem die Stadt endgültig eingenommen wurde.
Die Einnahme der Stadt war sowohl ein militärischer als auch ein symbolischer Sieg. Die Osmanen hatten das Zentrum der byzantinischen Welt - zugleich Herzstück des östlichen Christentums - erobert und seine politische und kulturelle Rolle übernommen.
Das Ereignis erschütterte Europa und den Nahen Osten und veränderte Handelswege und politische Machtverhältnisse grundlegend.
Istanbul im Osmanischen Reich: Kultur, Handel und Architektur
Die Süleymaniye-Moschee (1550 - 1557) von Baumeister Sinan
Unter osmanischer Herrschaft wandelte sich Konstantinopel zu einer prächtigen Hauptstadt und einem Zentrum islamischer Kultur. Die Stadt zog Siedler aus allen Teilen des Reiches an: Gelehrte, Handwerker, Händler, Beamte sowie Menschen unterschiedlicher ethnischer und religiöser Herkunft, die zusammen eine vielfältige und dynamische Gesellschaft bildeten.
Zahlreiche byzantinische Kirchen wurden zu Moscheen umgewandelt, darunter die berühmte Hagia Sophia, die als prächtige Moschee diente und bis heute ein Symbol für den kulturellen Wandel der Stadt ist. Bedeutende osmanische Baumeister wie Mimar Sinan schufen Meisterwerke wie die Süleymaniye-Moschee, die nicht nur religiöse, sondern auch soziale Funktionen erfüllte, und hinterließen ein architektonisches Erbe von zeitloser Schönheit.
Neubauten wie Paläste, Brunnen, Koranschulen (Medresen) und Basare bereicherten das Stadtbild und stärkten die städtische Infrastruktur. Besonders der Topkapi-Palast wurde zum politischen Zentrum und Wohnsitz der Sultane.
Istanbul entwickelte sich zu einer pulsierenden Metropole, in der das byzantinische Erbe mit osmanischer Innovation verschmolz und eine einzigartige kulturelle Synthese entstand, die bis heute spürbar ist.
Das goldene Zeitalter Süleymans (16. Jahrhundert)
Topkapi-Palast: Diwan und Turm der Gerechtigkeit - Sinnbild osmanischer Herrschaft
Im 16. Jahrhundert erreichte das Osmanische Reich unter Sultan Süleyman dem Prächtigen seine größte Macht und kulturelle Blüte. Istanbul war das Herz eines Reiches, das sich über drei Kontinente - Europa, Asien und Afrika - erstreckte und von Wien im Westen bis Arabien im Süden reichte.
Die Stadt florierte als globales Handelszentrum und kultureller Schmelztiegel. Der bereits etablierte Große Basar wuchs zu einem der größten überdachten Märkte der Welt heran, auf dem Gewürze, Seide, Schmuck und Kunsthandwerk aus allen Ecken des Reiches und darüber hinaus gehandelt wurden. Istanbul zog Kaufleute, Künstler und Gelehrte aus verschiedenen Kulturen an.
Prachtvolle Moscheen, prächtige Paläste wie der Topkapi-Palast, öffentliche Gebäude und Brücken zeugten vom Reichtum und der Macht des Imperiums. Unter der Bauleitung von Meistern wie Mimar Sinan entstanden architektonische Wunderwerke, die bis heute beeindrucken.
Die Bevölkerung wuchs stetig und war geprägt von einer bemerkenswerten ethnischen und religiösen Vielfalt: Griechen, Armenier, Juden, Araber, Türken und viele weitere lebten hier zusammen in einem kosmopolitischen Umfeld, das religiöse Toleranz und kulturellen Austausch förderte.
Diese Vielfalt verlieh Istanbul seinen einzigartigen Charakter als lebendige Metropole zwischen Orient und Okzident - einem zentralen Knotenpunkt zwischen Schwarzem Meer und Mittelmeer.
Der Anfang vom Ende: Der militärisch-politische Niedergang (16.-17. Jh.)
Palastwachen am Babüssaade-Tor (Topkapi-Palast)
Nach dem goldenen Zeitalter Süleymans begann das Osmanische Reich allmählich an politischer und militärischer Dynamik zu verlieren. Während Europa in Renaissance und Aufbruch in die Moderne schritt, erstarrte der osmanische Verwaltungsapparat zunehmend in Bürokratie und Korruption. Die einst gefürchtete Janitscharentruppe entwickelte sich vom Elitesoldatenkorps zu einer politischen Macht, die Sultane absetzte und Reformen blockierte.
Ein schicksalhafter Umbruch begann mit der gescheiterten zweiten Belagerung Wiens 1683 - diese militärische Katastrophe markierte den Beginn des langen Rückzugs aus Europa. Im folgenden Großen Türkenkrieg (1683-1699) musste das Reich erstmals signifikante Gebietsverluste hinnehmen. Der Vertrag von Karlowitz 1699 besiegelte diesen Machtverlust und zwang die Hohe Pforte (Symbol für die osmanische Regierung) zu territorialen Zugeständnissen an die Habsburger.
Tulpenzeit: Letzte Blüte vor dem Sturm (1718-1730)
Frühlingsstimmung im vierten Hof des Topkapi-Palastes
Doch mitten in dieser Krise erlebte Istanbul unter Sultan Ahmed III. eine überraschende kulturelle Renaissance: Die Tulpenzeit (Lâle Devri, 1718-1730). Inspiriert von persischen Gartenkulturen und französischer Ästhetik verwandelten sich die Palastgärten. Besonders im Topkapi-Palast und entlang des Goldenen Horns - in lebende Gemälde aus Tulpenzwiebeln.
Die heute mit Holland assoziierte Tulpe erreichte Europa erstmals 1554 durch Ogier Ghiselin de Busbecq, Habsburgischer Botschafter am Hof Süleymans des Prächtigen. Die osmanischen Züchtungen („Tulipa ottomanica“) galten als exotische Kostbarkeit - ein frühes Beispiel globalen Pflanzentausches.
Diese Epoche war mehr als nur Blumenzier: Sie brachte Istanbuls erste öffentliche Bibliotheken, die bahnbrechende Druckerpresse (1727) und architektonische Hybridbauten wie den Brunnen Ahmeds III. hervor. Doch die prunkvollen Feste in den Gärten und die exorbitanten Tulpenpreise (eine Zwiebel = Jahreslohn eines Handwerkers!) nährten den Volkszorn.
Der Brunnen Ahmeds III. (1728)
Der Aufstand des Patrona Halil (28. September 1730) beendete diese Ära: Der Großwesir wurde hingerichtet, Sultan Ahmed III. abgesetzt, und die prächtigen Tulpenbeete verwandelten sich in Aufmarschfelder für Rebellen. Doch hinterließ die Tulpenzeit ein paradoxes Erbe: Während sie politisch scheiterte, überlebten ihre kulturellen Impulse - wie ein Samenkorn, das erst Jahre später keimte.
Europas Schatten über dem Bosporus (19. Jahrhundert)
Dolmabahçe-Palast (1856): Die Pracht im Schatten westlicher Schulden
Im 19. Jahrhundert wurde Istanbul zum Experimentierfeld osmanischer Reformbemühungen. Die Tanzimat-Reformen (1839-1876) sollten das Reich mit europäischen Methoden retten. Neue Verwaltungsstrukturen, die Gleichheit aller Untertanen vor dem Gesetz (unabhängig von Religion) und bahnbrechende Bildungsinitiativen markierten diesen Umbruch.
Sultan Abdülmecid I. ließ prunkvolle europäisch inspirierte Paläste wie Dolmabahçe errichten, während gleichzeitig die wirtschaftliche Abhängigkeit von ausländischen Mächten wuchs. Diese ambivalente Phase zwischen Tradition und Modernisierung prägte Istanbuls Stadtbild bis ins späte Osmanische Reich.
Vom Osmanischen Reich zur modernen Türkei: Die Republikanische Wende
Taksim Denkmal der Republik (Cumhuriyet-Denkmal) von Pietro Canonica, 1928
Nach dem Ersten Weltkrieg, den das Osmanische Reich an der Seite der Mittelmächte verloren hatte, geriet Istanbul in eine Phase tiefgreifender Umwälzungen. Zwischen 1918 und 1923 war die Stadt von alliierten Truppen, insbesondere britischen, französischen und italienischen Einheiten, militärisch besetzt. Diese Zeit war geprägt von politischer Unsicherheit, wirtschaftlichem Niedergang und wachsendem Widerstand innerhalb der Bevölkerung.
Doch aus dieser Krise erwuchs eine nationale Bewegung: Unter der Führung Mustafa Kemal Atatürks formierte sich der türkische Unabhängigkeitskrieg, der nicht nur die Besatzung beendete, sondern auch die Grundlagen für einen modernen Nationalstaat schuf. Mit der Gründung der Türkischen Republik im Jahr 1923 endete nicht nur die osmanische Epoche, sondern auch die fast 600-jährige Monarchie, die seit der Reichsgründung 1299 bestanden hatte.
Mustafa Kemal Atatürk (1881-1938)
Nun verlor Istanbul seine Funktion als Hauptstadt an das bewusst als Gegenpol etablierte Ankara - doch als kulturelles Herz und wirtschaftliches Kraftzentrum behauptete sich die alte Hauptstadt in der jungen Republik.
In den folgenden Jahrzehnten erlebte Istanbul einen tiefgreifenden sozioökonomischen Wandel. Die Stadt zog eine große Anzahl von Menschen aus ländlichen Regionen Anatoliens an, was zu einem schnellen Bevölkerungswachstum und einer intensiven Urbanisierung führte. Neue Stadtviertel entstanden, oft begleitet von improvisiertem Wohnungsbau, die das Bild der Stadt prägten.
Diese Migration und Expansion führten zu vielfältigen Herausforderungen, etwa in den Bereichen Infrastruktur, Verkehr und soziale Integration. Gleichzeitig förderten Industrieansiedlungen, Bildungseinrichtungen und kulturelle Angebote die Modernisierung Istanbuls und machten die Stadt zu einem dynamischen Schmelztiegel verschiedener Kulturen und Lebensweisen.
Das moderne Istanbul: Zwischen Tradition und Innovation
Das Atatürk Kulturzentrum am Taksim-Platz
Im 21. Jahrhundert präsentiert sich Istanbul als eine der größten und dynamischsten Metropolen der Welt mit über 16 Millionen Einwohnern. Die Stadt ist ein faszinierendes Zusammenspiel von Geschichte und Moderne: antike Ruinen und prächtige osmanische Moscheen neben modernen Wolkenkratzern, Einkaufszentren und lebendigen Vierteln.
Der Bosporus, als natürliche Wasserstraße, bleibt das pulsierende Rückgrat der Stadt und verbindet nach wie vor Europa und Asien. Fähren, Frachtschiffe und kleine Boote durchqueren täglich diese wichtige Lebensader und symbolisieren die Brücke zwischen zwei Kontinenten.
Istanbuls unverwechselbarer Charakter resultiert aus der einzigartigen Mischung von Ost und West, von Tradition und Innovation, von Säkularität und Religion. Zahlreiche Festivals, eine vielfältige und weltberühmte Küche, belebte Märkte sowie ein reiches kulturelles Angebot machen die Stadt zu einem Magneten für Besucher aus aller Welt.
Die lebendige Atmosphäre, das multikulturelle Zusammenleben und die ständige Veränderung prägen das heutige Istanbul - eine Stadt, die ihre Geschichte ehrt und zugleich den Blick mutig in die Zukunft richtet.
Die ewige Stadt am Bosporus
Bosporus: Blauer Strom zwischen Welten
Die Geschichte Istanbuls gleicht einem lebendigen Geschichtsbuch - jede Epoche hat sichtbare und unsichtbare Spuren hinterlassen, von den antiken griechischen Fundamenten über byzantinische Kirchen und osmanische Moscheen bis hin zu modernen Bauwerken. Istanbul ist kein stillstehendes Museum, eingefroren in der Zeit, sondern ein dynamisches Wesen, das sich ständig wandelt und dabei seine jahrtausendealte Seele bewahrt.
Für Geschichtsinteressierte bietet die Stadt unzählige Möglichkeiten, ihre Vergangenheit zu entdecken: die geheimnisvollen unterirdischen Zisternen, die weltbekannten archäologischen Museen oder die imposanten Landmauern, die von einer bewegten Geschichte erzählen. Spaziergänge durch die verschiedenen Stadtviertel eröffnen Einblicke in die vielschichtige Kultur und laden dazu ein, die Geschichten hinter den Fassaden zu erkunden.
So bleibt Istanbul eine Stadt voller Kontraste und Harmonie, in der Geschichte und Gegenwart auf einzigartige Weise miteinander verschmelzen - die ewige Stadt am Bosporus.